„Ihr seid nicht schuldig für das, was damals geschehen ist, sage ich, aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr nichts von dieser Geschichte wissen wollt.” – Ester Bejaran
Die Studienfahrt nach Auschwitz begann nicht mit dem Treffen am Frankfurter Flughafen, sondern bereits Wochen zuvor. Wir beschäftigten uns mit Dokumenten, Auflistungen von deportierten Personen, jüdischen Geschichten aus Frankfurt und nahmen an einer Führung zur ehemaligen Großmarkthalle, ein Ort der Massendeportation, teil, um uns auf die bevorstehende Fahrt vorzubereiten. Außerdem besprachen wir unsere Erwartungen, Sorgen und Ängste und merkten schnell, dass jede*r von uns mit gemischten Gefühlen diese Studienfahrt antreten würde.
Es war für uns alle schon im Vorhinein bewusst, dass diese Fahrt nicht nur physisch, sondern auch mental anstrengend werden würde. Viele hatten Angst vor dem, was uns erwarten würde, sei es wegen der Ungewissheit, oder aufgrund der zahlreichen Fotos, Texte und Filme, die man bereits zu Auschwitz und dem Holocaust gesehen und gelesen hatte. Nichtdestotrotz trat unsere Gruppe die Fahrt mit Anspannung und großer Bereitschaft an und so fanden wir uns alle am Montagmorgen am Flughafen wieder.
Nach Ankunft unseres Flugzeugs am Krakauer Flughafen, starteten wir die Fahrt mit einer Stadterkundung Krakaus in kleinen Gruppen. Abends trafen wir uns alle bei polnisch-jüdischer Küche in einem Restaurant mit live-Musik, um einerseits den ersten gemeinsamen Abend und somit Einstieg in die Studienfahrt anklingen zu lassen und andererseits, um einen kleinen Einblick in die polnisch-jüdischen Kultur zu erlangen.
Am nächsten Morgen begaben wir uns per Bus nach Oświęcim (Auschwitz). Kurz nach Ankunft in der Jugendbegegnungsstätte starteten wir auch schon zum KZ Auschwitz eins (Stammlager I), wo wir in einer vierstündigen Führung einen ersten, zu dem Zeitpunkt noch völlig surrealen, Eindruck des Grauens dieses Ortes bekamen. Eine Flut von Eindrücken, Informationen und Fakten, überschwemmte uns. Es ist schwer, wenn nicht gar unmöglich, diese zu verarbeiten, gar zu verstehen. Erst nach einer gewissen Zeit wird einem bewusst, dass man an genau jenem Ort steht, von welchem man in genau diesem Moment erzählt bekommt – unmenschliche Geschehnisse, darunter Experimente an Kindern und Frauen, Misshandlungen jeglicher Art und tausenden Morden.
Vor allem das Lagergefängnis mit dunklen Stehzellen, in denen jegliches Licht fehlt sowie das Krematorium und die Gaskammer, an welcher sich unzählige Kratzspuren erkennen lassen, bleiben uns im Kopf. Als wir dieses betreten, wird es plötzlich sehr still in der Gruppe. Es ist eine Mischung aus Angst, Ekel und der Unfassbarkeit der Schandtaten des Ortes. Ebenso hinterlassen die Ansammlungen von Schuhen, Koffern, Brillen und Haaren der Opfer einen starken Eindruck und es herrscht eine allgemeine Betrübtheit, die allmählich durch den gemeinsamen Austausch untereinander und eine erste Realisation und gar Unverständnis abgelöst wird.
Nachmittags nehmen wir an einem Fotoworkshop teil, bei welchem wir uns mit Fotografien aus dem KZ Auschwitz beschäftigen. Es sind Fotos, die nicht nur das Leid und Elend der Opfer dokumentieren, sondern Geschichten von Menschen, Familien und Kindern erzählen. Mehrere Stunden lang besprechen wir die Hintergründe und Ursprünge der Fotos, die Bedeutung und Symbolkraft, die sie tragen. Wir diskutieren lange und sehr ausgiebig über die Bilder und auch nach dem Abendessen beschäftigen wir uns weiterhin gemeinsam mit unseren Gedanken, Gefühlen und dem, was wir heute erlebt haben. Nichtdestotrotz finden wir auch genügend Zeit, uns mit anderen und schöneren Themen zu befassen. So erkunden einige die Stadt Oświęcim und abends wird mit der gesamten Gruppe Werwolf gespielt.
Am Dienstag begeben wir uns nach Auschwitz-Birkenau. Wir haben die Möglichkeit, uns das Torhaus und den dazugehörigen Wachturm von innen anzugucken, von welchem man einen Überblick über das gesamte Lager hat. Auch an diesem Tag steht uns eine mehrstündige Führung durch das Lager bevor. Wir besichtigen die Häftlingsbarracken, modrig riechende Holzgebäude und bekommen einen Eindruck davon, unter welchen grausamen Bedingungen die Menschen leben mussten. Dabei standen vor allem Krankheit und Elend im Vordergrund. Auch die Sanitäranlagen machen deutlich, wie unmenschlich das Leben im KZ gewesen sein muss.
Später erreichen wir das Krematorium V und die dazugehörige Gaskammer des Lagers, zwei unberührte Steinruinen, in ihrem zerstörten Zustand nicht angerührt, aus Respekt vor den unzähligen Opfern, deren Überreste zum Teil immer noch dort verweilen. Wir befinden uns an einem im Vergleich zum Rest des Lagers eher abgeschotteten Ort, es stehen viele Bäume um uns rum. Vor uns befinden sich zwei Tafeln mit Text und Fotografien, weiter hinten einige Steintafeln. Es sind dieselben Fotografien, die wir auch am Tag zuvor im Workshop gesehen haben: Entkleidete Frauen, die auf dem Weg in die Gaskammern sind. Es ist seltsam zu wissen, dass man an genau jenem Ort steht und abermals wird es stiller in der Gruppe.
Unser Guide führt uns durch „Kanada“, wo Häftlingsgut durchsucht und zur Weiterverwertung sortiert wurde. Eine Vitrine mit eben solchen Gegenständen, Buttermessern, Schlüsseln und Tellerresten steht dort. Auf der Vitrine befinden sich weitere Überreste, von Besucher*innen im oft matschigen und aufgeweichten Boden gefunden. Nur wenig später zieht einer unserer Gruppe eine alte, vom Matsch verdreckte Gabel aus dem Boden und legt sie zu den übrigen Fragmenten dazu.
Zuletzt besuchen wir eine der Kinderbaracken. Es ist schwer zu begreifen, wie hier hunderttausende Kinder in Elend und Leid zu leben hatten, wie sie ihre Kindheit nicht ausleben konnten, sondern sich oftmals zu Tode arbeiten mussten. Ähnlich wie in den anderen Baracken, befanden sich auch hier die Stärksten in den oberen „Betten“, einfache Holzplatten, während die Kranken und Schwachen unten bei Kälte und Nässe verbleiben mussten. Und abermals wird uns klar, dass dieses Konzentrationslager in jeder Hinsicht ein Ort der Hölle war, des Unmenschlichen.
Nachmittags begeben wir uns erneut in das Stammlager I, wo wir individuell die Länderausstellungen besichtigen. Vor allem die Shoah-Ausstellung hinterlässt dabei einen bleibenden Eindruck. Das „Buch der Namen“, ein mehrere Meter dickes Buch mit Namen der Opfer steht in einem Raum, einen Raum zuvor erklingen Kindergesänge, an den Wänden sind Zeichnungen, die Geschehnisse von Auschwitz aus Kinderaugen. Es sind rekonstruierte Originale von jüdischen Kindern, Zeichnungen von Soldaten, Bombern und Spielgefährten.
Die Länderausstellungen erzählen die Geschichten von Individuen, darunter Sinti und Roma, Menschen aus Ungarn, den Niederlanden, Juden und Jüdinnen. Und sie alle verdeutlichen uns abermals, dass ganze Familien, Geschichten und Leben während des Holocausts ausgelöscht wurden.
Auch an diesem Abend verbringen wir gemeinsam Zeit. Es werden Bücher von Holocaust-Überlebenden, alte Fotografien und informative Artikel durchstöbert, oder es wird sich einfach nur über das Erlebte, die gesammelten Eindrücke und eventuelle Fragen ausgetauscht. Ausklingen lassen wir den Abend abermals mit einigen Partien Werwolf.
Bevor wir uns am Mittwoch auf den Weg zum Flughafen machen, versammeln wir uns noch einmal zu einer gemeinsamen Reflektionsrunde. Wir sprechen über unsere anfänglichen Ängste, über das was wir in dieser kurzen Zeit erlebt und erfahren haben und es wird schnell deutlich, dass wir uns alle auch weiterhin noch mit dem Thema auseinandersetzen werden. In kleinen Gruppen diskutieren wir anschließend über diverse Fragestellungen und Dilemmas zum Thema Umgang mit Antisemitismus und dem Holocaust.
Als wir dann abends mit zwei Stunden Verspätung am Frankfurter Flughafen ankommen, sind dann doch alle sehr erleichtert, wieder zu Hause zu sein. Und so reisen wir mit gemischten Gefühlen wieder ab; es ist eine Mischung aus Bedrücktheit, Verständnislosigkeit und sogar Emotionalität, aber auch Erkenntnis. Wir sind uns einig, dass es eine wichtige und vor allem richtige Entscheidung war, Auschwitz zu besuchen, denn kein Text, Video oder Foto kann diesen Ort in seinem grausamen Ausmaß erfassen.
von Mia Horz und Elisabeth Schneider, Q3