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Die Musterschule in Zeiten der politischen Radikalisierung (1920/30)

Die Radikalsierung von Jugendlichen, um die man sich Anfang der 1930er sorgte und der man mit den verschiedenen Erlassen entgegen treten wollte, vollzieht sich dann unter der NS-Herrschaft ab Mitte der 1930er schnell.

Der Erlass kehrte sich ins Gegenteil um. Zur Meldung stehen nun politisch linke Aktivitäten und die Mitgliedschaft in der HJ wird zunächst erwünscht und schließlich verpflichtend. Schüler, die aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen nicht Mitglied werden können oder wollen werden zunehmden ausgegrenzt. Davon bleibt schließlich auch die Musterschule nicht verschont.

In seinen „Erinnerungen an die Nazi-Zeit in der Musterschule“ schreibt Hans Louis T., ein ehemaliger jüdischer Musterschule anlässlich des 200jährigen Jubiläums der  Musterschule für die Festschrift von seiner Schulzeit 1933-1936.

Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten machte sich in seiner Erinnerung das erste Mal spürbar am 1. April 1933 bemerkbar, als die Hitler-Regierung einen Boykott der jüdischen Geschäfte anordnete, die Lehrkräfte der Musterschule hatten ihren jüdischen Schüler im diesem Zusammenhang mitzuteilen, zu Hause zu bleiben. Die Lehrer beschreibt Hans Louis T. insgesamt als konservativ-national(istisch), wenn nicht der Republik dann eher dem Geist des Kaiserreichs verplichtet als Symphatisanten der Nationalsozialisten hatten dabei versucht den jüdischen Schülern dies schonend mitzuteilen (“So vermied es unser Klassenlehrer, Studienrat Otto Hepp, uns bloßzustellen“.)

Die meisten Lehrer seien keine Unterstützer der Nazis gewesen (Ausnahmen bestätigen die Regel), einige Kollegen waren sogar im Gegenteil mehr oder weniger offen gegen die Nationalsozialisten positioniert – darunter SPD-Mitglieder. Auch der Schuleiter Peter Müller verwahrte sich an vielen Stellen gegen die allzu unmittelbare Durchführung der Anordnungen von oben. Fahnenappelle, Rundfunkansprachen und Veranstaltungen ließ er ordnungsgemäß durchführen, den Hitlergruß verlangte er von den Schüler aber nicht – es heißt sogar, dass er den Schülern untersagte, ihm den Hitlergruß zu zeigen. Andere Schüler erinnern sich:

„Das Verhalten der Lehrer im Unterricht war fair. Und einige […] grüssten mich auch                         weiterhin, wenn ich sie auf der Straße traf.“

Aber auch:

„Auch das Verhalten einiger Lehrer veränderte sich in dieser Zeit. Sie schauten einfach weg und halfen uns nicht, wenn wir auf dem Schulhof getreten und geschlagen wurden.“

Den Umständen geschuldet traten trotzdem nach und nach viele der Schüler der Hitlerjugend bei. Einige wurden in der Folge auch zunehmend angriffslustiger, wie verschiedene jüdische Schüler sich erinnern:

„Direkt nach dem 30.1. gab es nur einen geringen Wechsel im Verhalten meiner Klassenkameraden. Erst im Verlauf der Jahre erschienen einige Jungen mehr in der Hj-Uniform und ihr Verhalten veränderte sich, als sie begannen die Nazipropaganda aufzusaugen.“

„Bei einem Fussballspiel gegen eine andere Mannschaft merkte ich, dass einer meiner Mannschaft mir nie den Ball zuspielte, obwohl ich freistand. Auf meine Anfrage sagte er mir, dass er den Ball nur an arische Schüler weitergeben würde.“

Diese Situation verschlimmerte sich immer mehr und zwar so weit, dass es schließlich zum Alltag der jüdischen Schüler gehörte sich mit solchen ‚arischen’ Mitschülern zu prügeln. Dazu schreibt ein Schüler:

„Schlägereien auf dem Schulhof waren oft das Resultat antisemitischer Bemerkungen einzelner fanatischer Nazis unter der Schülern, gegen die sich die jüdischen Schüler natürlich wehrten.“

In dieser Zeit schlossen sich laut Hans Louis T. viele der jüdischen Schüler, wie er selbst, dem „Schwarzen Fähnchen“ an, einem jüdischen Jugendbund, der in gewisser Weise ein Gegenpol zur HJ war.

Für Familie T. kam irgendwann jedoch der Zeitpunkt, an dem klar wurde, dass für sie ein weiteres Leben in Deutschland nicht mehr möglich war. So wurde Hans Louis T.s Vater in der Öffentlichkeit von einem Nazi-Unterstützer beleidigt, worauf der Vater dem Angreifer eine Ohrfeige verpasste. Der Vater bekam dafür eine Geldstrafe in Höhe von 1500 Mark, welche er sofort bezahlte, da man damit drohte, dass sich sonst die Gestapo um diesen Fall kümmern würde. Trotz der schnellen Schuldtilgung war für den Vater, dass die Familie auswandern müssen. Das Ziel war die USA.

Der Vater reiste bereits im November 1935 in die USA und Hans Louis folgte im kurz vor den Winterferien. Aus dieser Zeit zwischen November und Ende Dezember berichtet er noch etwas bemerkenswertes über die Musterschule. Oberstudienrat Olbrich gab vielen jüdischen Schülern privaten Englischunterricht, bevor diese ins Ausland flüchteten und riskierte dabei seine Zukunft.

„Und jedes Mal wenn ich zu ihm kam, wurde das Bild Hitlers abgehängt. Dieses war so angebrahct, dass man es direkt von der Tür aus sehen konnte, denn Herr O. stand in dem Verdacht ‚politisch nicht zuverlässig’ zu sein.“

Dieses Verhalten und dieser Einsatz sind  bemerkenswert.  Und sie zeigen, dass es auch in den 1930ern noch viele engagierte, gute Menschen an der Musterschule gab.

  • Fabian Heil, Manuel Noll Rios – Geschichte-LK 2018
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